Während der Londoner Saison möchte Frederica endlich einen Ehegatte für ihre hübsche Schwester Charis finden. Marquis von Alverstoke gilt als der begehrteste Mann der High-Society auf dem Heiratsmarkt. Frederica erinnert ihn daran, dass er ihrem Vater einst ein Versprechen gab. Und als dieser einen Ball für Charlis gibt, glaubt Frederica, dass ihr Plan aufgeht. Doch plötzlich scheint es als ob Marquis mit seinem Charme eine ganz andere Frau zu erobern gedenkt.
Leseprobe des 1.Kapitels des Buches:
Vor fünf Tagen hatte die verwitwete Lady Buxted ihren Bruder, den Höchst
Ehrenwerten Marquis von Alverstoke, in einem Sendschreiben dringend
ersucht, sie so bald wie nur irgend möglich zu besuchen. Nun konnte sie
erleichtert aufatmen, denn ihre jüngste Tochter kündete soeben die
Ankunft von Onkel Vernon an: "Er trägt einen Mantel mit Dutzenden von
Schultercapes, und er sieht überhaupt todschick aus. Außerdem fährt er
ein smartes neues Karriol, Mama, und einfach alles an ihm ist prima!",
erklärte Miss Kitty, die Nase platt an die Fensterscheibe gedrückt. "Er
ist doch der enormste Stutzer, was, Mama?"
Lady Buxted antwortete tadelnd, solche Ausdrücke schickten sich nicht für eine junge Dame von Stand, und beorderte ihre Tochter ins Schulzimmer.
Lady Buxted gehörte nicht zu den Verehrerinnen ihres Bruders, und die Nachricht, dass er seine zweirädrige Kutsche persönlich zum Grosvenor Place gelenkt hatte, trug nicht gerade dazu bei, ihn in ihrer Gunst steigen zu lassen. Es war ein schöner Frühlingsmorgen, aber es wehte ein scharfer Wind, und kein Mensch, der den Marquis kannte, hätte angenommen, dass er seine Vollblüter länger als einige Minuten warten lassen würde. Das verhieß nichts Gutes für den Plan, den die Lady im Sinn hatte. Denn Alverstoke war zweifellos das egoistischste und ungefälligste Geschöpf unter Gottes Sonne.
Ihre Schwester, Lady Jevington, eine gebieterische Matrone jenseits der Vierzig, teilte diese Einschätzung nur unter Vorbehalt. Auch sie hielt ihren einzigen Bruder für egoistisch und ungefällig, aber sie sah beim besten Willen keinen Grund, warum er für Louisa mehr tun sollte als für sie selbst. Was Louisas zwei Söhne und drei Töchter betraf, so konnte Lady Jevington ihrem Bruder keinen Vorwurf daraus machen, dass er sich für keinen der Sprösslinge interessierte. Es war wirklich unmöglich, sich für derart gewöhnliche Kinder zu interessieren. Dass er sich jedoch genauso wenig für ihre eigenen Nachkommen interessierte, deutete in der Tat auf eine egoistische Veranlagung hin. Jeder Mensch hätte angenommen, dass ein Junggeselle, der nicht nur ersten Standes, sondern außerdem beträchtlich reich war, nur zu froh gewesen wäre, einen so vielversprechenden Neffen, wie es ihr geliebter Gregory war, in den erlesenen Kreis aufzunehmen, dem Alverstoke selbst zur Zierde gereichte, und er hätte sich bemüht, die liebe Anna in die vornehme Welt einzuführen. Dass Anna ohne die geringste Hilfe seinerseits dennoch standesgemäß verlobt worden war, milderte ihre Entrüstung keineswegs. Zwar musste sie zugeben, ihr altmodischer Ehemann erinnere sie zurecht daran, dass sie die leichtfertige Clique missbilligte, zu der Alverstoke gehörte, und sie hatte auch häufig der Hoffnung Ausdruck verliehen, Gregory würde dort niemals hineingeraten. Dennoch konnte sie es Alverstoke noch immer nicht verzeihen, dass er es nicht einmal versucht hatte, Gregory dort einzuführen. Sie sagte, es hätte sie keinen Deut gekümmert, wenn sie nicht mit gutem Grund annehmen müsste, dass Alverstoke seinen jungen Vetter und Erben Endymion nicht nur als Kornett in die Life Guards eingekauft hatte, sondern ihm außerdem noch eine schöne Apanage zukommen ließ. Worauf Lord Jevington antwortete, er sei durchaus imstande, für seinen Sohn selbst zu sorgen, der ohnehin keinen wie immer gearteten Anspruch an seinen Onkel hatte. Er persönlich könne es Alverstoke nur hoch anrechnen, dass er so vernünftig war und sich davor zurückhielt, den Eltern des Ehrenwerten Gregory Sandridge finanzielle Hilfe anzubieten, was diese nur als Kränkung hätten empfinden können. Das stimmte durchaus, trotzdem war Lady Jevington der Meinung, wenn Alverstoke auch nur ein Körnchen Anstandsgefühl besäße, dann hätte er für seine Gunst nicht einen bloßen Vetter statt seines ältesten Neffen ausgewählt. Ihrer Meinung nach wäre in einer besser organisierten Gesellschaft sein Erbe ohnehin der Sohn der ältesten Schwester, nicht aber ein entfernt verwandter Vetter.
Lady Buxted freilich hätte Gregory nicht gern in so unfairer Weise erhoben gesehen, stimmte jedoch im allgemeinen ihrer Schwester zu, denn beide Damen waren sich einig in ihrer Verachtung des Mr. Endymion Dauntry den sie zu einem ausgemachten Klotz stempelten. Ob aber ihre Feindseligkeit diesem untadeligen jungen Mann gegenüber ihrer Abneigung gegen seine verwitwete Mama entsprang oder aber seinem schönen Gesicht und der prachtvollen Figur galt – beides stellte sowohl Gregory Sandridge wie auch den jungen Lord Buxted in den Schatten –, war eine Frage, die lieber niemand stellte.
Aus welchem Grund auch immer, jedenfalls waren Alverstokes beide älteren Schwestern überzeugt, man hätte keinen unwürdigeren Erben für die Würden des Marquis finden können als Endymion, und beide hatten keine Mühe gescheut, die Aufmerksamkeit ihres Bruders auf sämtliche hübschen und standesgemäßen jungen Damen zu lenken, die Jahr um Jahr auf die elegante Welt losgelassen wurden.
Alverstokes Gewohnheitssünde war es jedoch, sich äußerst schnell zu langweilen. Sie hatte selbst seine Schwestern besiegt, denn keine der beiden konnte annehmen, wenn sie die zahlreichen blendenden leichten Schönheiten, die unter seinem Schutz gelebt hatten, Revue passieren ließ, dass er weiblichen Reizen gegenüber unempfänglich war. Keine von beiden war jedoch auch so dumm, allzu optimistisch zu werden, wenn er ausnahmsweise einmal eine Neigung zu irgendeiner Perle an Geburt, Schönheit und Reichtum zu entwickeln schien, die ihm die eine oder andere seiner Schwestern unter die Nase schob. Er war durchaus imstande, die betreffende Dame einige Wochen lang zum Gegenstand seiner Galanterie zu machen, dann aber plötzlich abzuspringen und zu vergessen, dass es sie überhaupt gab. Als es seinen Schwestern dämmerte, dass vorsichtige Eltern ihn scheel ansahen und man ihn allgemein für gefährlich hielt, gaben sie ihre Versuche auf, ihm eine Frau zu verschaffen, und widmeten ihre Energien stattdessen der leichteren Aufgabe, seine Trägheit zu beklagen, seinen Egoismus zu verdammen und ihn wegen seiner moralischen Verirrungen, so weit sie ihnen zu Ohren kamen, zu schelten. Nur seine jüngste Schwester hielt sich davor zurück. Da sie aber verschiedene schmeichelhafte Heiratsanträge abgelehnt, nach eigenem Belieben einen bloßen Landedelmann geheiratet hatte und nur noch selten in die Metropole kam, wurde sie von ihren beiden älteren Schwestern für eine quantité négligeable gehalten. Wenn sie von ihr sprachen – was selten vorkam –, dann nur von der armen Eliza. Obwohl sie wussten, dass Alverstoke Eliza lieber hatte als sie, kam es ihnen nicht in den Sinn, sie um ihre Hilfe bei den Heiratsplänen für den Bruder zu ersuchen. Wäre es ihnen aber doch eingefallen, dann hätten sie den Gedanken in dem wohlbegründeten Glauben abgetan, dass noch kein Mensch ihn, seit er zum Mann geworden war, auch nur im Geringsten beeinflusst hatte.
Diesmal jedoch hatte Lady Buxted ihn nicht zu sich befohlen, um ihm eine Strafpredigt zu halten. Ja, sie hatte beschlossen, überhaupt nichts zu sagen, was ihn hätte verstimmen können. Aber während sie im Salon auf ihn wartete, folgte der Hoffnung, die – ungeachtet ihrer Erfahrung – in ihrer Brust aufgekeimt war, als sie von seiner Ankunft hörte, sofort die Überlegung, dass es ihm wieder einmal ähnlich sah, fünf Tage verstreichen zu lassen, bevor er sich die Mühe machte, einer Aufforderung zu folgen, die ja immerhin höchst dringlich hätte sein können. Nur mit Mühe zwang sie ihr Gesicht zum Ausdruck liebevoller Begrüßung. Noch schwerer fiel es ihr, Herzlichkeit in die Stimme einfließen zu lassen, als er unangemeldet ins Zimmer hereinschlenderte. Auch das sah ihm ähnlich, dieses nachlässige Benehmen, das Ihre Gnaden, pedantisch auf gute Formen bedacht, sehr bedauerte, denn sie sah nicht ein, wieso er sich in ihrem Haus benahm, als gehörte es ihm.
Sie unterdrückte ihren Ärger, streckte ihm die Hand entgegen und sagte: "Vernon! Mein Lieber, was für eine reizende Überraschung!"
"Was ist daran überraschend?", fragte er und zog die schwarzen Brauen hoch. "Hast du mich denn nicht gebeten zu kommen?"
Zwar blieb das Lächeln auf den Lippen Lady Buxteds festgefroren, aber sie antwortete ziemlich scharf: "Sicher, aber schon vor so vielen Tagen, dass ich angenommen habe, du seist nicht in London!"
"O doch!", sagte er und erwiderte ihr Lächeln mit äußerster Süße.
Lady Buxted ließ sich dadurch nicht täuschen, hielt es aber für klug, die absichtliche Provokation zu ignorieren, die sie sehr gut erkannte. Sie klopfte mit der flachen Hand neben sich auf das Sofa und lud ihren Bruder damit ein, sich neben sie zu setzen. Er jedoch ging zum Kamin, beugte sich vor, um sich die Hände zu wärmen, und sagte: "Ich kann mich nicht lange aufhalten, Louisa. Was willst du von mir?"
Da sie sich entschlossen hatte, auf ihre Bitte taktvoll, Schritt für Schritt loszusteuern, machte sie diese unumwundene Frage wütend und brachte sie aus dem Konzept. Sie zögerte. Mit einem Glitzern in seinen harten grauen Augen schaute er auf und sagte: "Also?!"
Sie war nicht gezwungen, ihm sofort zu antworten, denn eben kam ihr Butler mit Erfrischungen herein, die seiner Meinung nach jetzt passend waren. Während er das schwere Tablett auf einem Seitentisch abstellte und den Marquis im vertraulichen Ton des alten Hausfaktotums informierte, er habe sich erlaubt, sowohl den Mountain wie den Sherry hereinzubringen, hatte Lady Buxted Zeit, sich zu sammeln. Etwas grollend vermerkte sie, dass es ihrem Bruder beliebte, sie in Reithose und Stiefeln zu besuchen – einem Anzug, der bedauerlicherweise genauso formlos war wie sein Eintritt in den Salon. Dass seine Stiefel glänzend poliert, sein Halstuch äußerst sorgfältig gelegt und der Schnitt seiner wie angegossen sitzenden Jacke offenkundig von Meisterhand stammte, erhöhte nur ihren Verdruss. Wäre ihm wie alles Übrige auch seine Erscheinung gleichgültig gewesen, dann hätte sie ihm verzeihen können, dass er es nicht für nötig hielt, ihr zu Ehren den für Morgenbesuche vorgeschriebenen Anzug zu tragen. Aber ein Mensch, der immer so elegant aussah wie er und dessen Stil von so vielen modebewussten Herren kopiert wurde, konnte modische Vorschriften unmöglich übergehen. Ja, sie hatte ihn einmal in einem Anfall von Erbitterung gefragt, ob ihm überhaupt an irgendetwas außer seiner Kleidung läge. Worauf er sich die Frage lange überlegt und dann erwidert hatte, dass zwar seine Kleidung natürlich an erster Stelle stehe, aber auch an seinen Pferden läge ihm viel.
Er war zu dem Tischchen hinübergegangen, und als sich der Butler zurückgezogen hatte, wandte er sich um und fragte: "Sherry, Louisa?"
"Mein lieber Vernon, jetzt könntest du wirklich schon wissen, dass ich Sherry nie anrühre!"
"Wirklich? Aber ich habe ja ein so entsetzlich schlechtes Gedächtnis!"
"Nicht, wenn du dich an etwas erinnern willst!"
"Nein – dann nicht!", stimmte er ihr zu. Er sah zu ihr hinüber, und beim Anblick ihrer zusammengepressten Lippen und der Zornesröte lachte er plötzlich auf. "Was für ein Dummkopf du doch bist, teure Schwester! Ich habe noch nie einen Fisch geangelt, der bereitwilliger angebissen hätte als du! Was also darf es sein? Malaga?"
"Ich nehme ein halbes Glas Ratafia, wenn du ihn mir netterweise einschenken wolltest", antwortete sie steif.
"Das geht mir zwar sehr gegen den Strich, aber ich werde so nett sein. Was für ein scheußliches Getränk zu dieser Stunde! Das heißt, eigentlich immer", fügte er nachdenklich hinzu. Er reichte ihr das Glas, sein Gang war gemächlich, doch elastisch wie der des geborenen Sportlers. "Also, worum geht es diesmal? Schleich nicht um den heißen Brei herum! Ich will nicht, dass sich meine Pferde erkälten."
"So setz dich doch endlich", sagte sie zornig.
"Schön, aber um Himmels willen, fasse dich kurz!", antwortete er und wählte den Lehnstuhl an der anderen Seite des Kamins.
"Es hat sich zufällig ergeben, dass ich deine Hilfe benötige, Alverstoke", sagte sie.
"Das, liebe Louisa, habe ich befürchtet, als ich deinen Brief las", erwiderte er mit abscheulicher Liebenswürdigkeit. "Natürlich hätte es auch sein können, dass du mich herbeorderst, um mir eine deiner Standpauken zu verpassen. Aber du hast deine Botschaft derart liebevoll abgefasst, dass ich diesen Verdacht fast sofort verbannte und mir daher nur die andere Version blieb: Du willst, dass ich etwas für dich tue."
"Wenn ich recht verstehe, dann sollte ich froh sei, dass du dich an meine schriftliche Einladung zu einem Besuch überhaupt erinnerst!", sagte sie und starrte ihn zornig an.
"Du kannst dir nicht vorstellen, Louisa, wie sehr es mich reizt, deine Dankbarkeit mit einem geziemenden Grinsen entgegenzunehmen!", sagte er. "Aber man soll mir nicht nachsagen können, dass ich mich mit fremden Federn schmücke: Trevor hat mich hergejagt."
"Soll das heißen, dass Mr. Trevor meinen Brief gelesen hat?", fragte Lady Buxted empört. "Dein Sekretär?"
Lady Buxted antwortete tadelnd, solche Ausdrücke schickten sich nicht für eine junge Dame von Stand, und beorderte ihre Tochter ins Schulzimmer.
Lady Buxted gehörte nicht zu den Verehrerinnen ihres Bruders, und die Nachricht, dass er seine zweirädrige Kutsche persönlich zum Grosvenor Place gelenkt hatte, trug nicht gerade dazu bei, ihn in ihrer Gunst steigen zu lassen. Es war ein schöner Frühlingsmorgen, aber es wehte ein scharfer Wind, und kein Mensch, der den Marquis kannte, hätte angenommen, dass er seine Vollblüter länger als einige Minuten warten lassen würde. Das verhieß nichts Gutes für den Plan, den die Lady im Sinn hatte. Denn Alverstoke war zweifellos das egoistischste und ungefälligste Geschöpf unter Gottes Sonne.
Ihre Schwester, Lady Jevington, eine gebieterische Matrone jenseits der Vierzig, teilte diese Einschätzung nur unter Vorbehalt. Auch sie hielt ihren einzigen Bruder für egoistisch und ungefällig, aber sie sah beim besten Willen keinen Grund, warum er für Louisa mehr tun sollte als für sie selbst. Was Louisas zwei Söhne und drei Töchter betraf, so konnte Lady Jevington ihrem Bruder keinen Vorwurf daraus machen, dass er sich für keinen der Sprösslinge interessierte. Es war wirklich unmöglich, sich für derart gewöhnliche Kinder zu interessieren. Dass er sich jedoch genauso wenig für ihre eigenen Nachkommen interessierte, deutete in der Tat auf eine egoistische Veranlagung hin. Jeder Mensch hätte angenommen, dass ein Junggeselle, der nicht nur ersten Standes, sondern außerdem beträchtlich reich war, nur zu froh gewesen wäre, einen so vielversprechenden Neffen, wie es ihr geliebter Gregory war, in den erlesenen Kreis aufzunehmen, dem Alverstoke selbst zur Zierde gereichte, und er hätte sich bemüht, die liebe Anna in die vornehme Welt einzuführen. Dass Anna ohne die geringste Hilfe seinerseits dennoch standesgemäß verlobt worden war, milderte ihre Entrüstung keineswegs. Zwar musste sie zugeben, ihr altmodischer Ehemann erinnere sie zurecht daran, dass sie die leichtfertige Clique missbilligte, zu der Alverstoke gehörte, und sie hatte auch häufig der Hoffnung Ausdruck verliehen, Gregory würde dort niemals hineingeraten. Dennoch konnte sie es Alverstoke noch immer nicht verzeihen, dass er es nicht einmal versucht hatte, Gregory dort einzuführen. Sie sagte, es hätte sie keinen Deut gekümmert, wenn sie nicht mit gutem Grund annehmen müsste, dass Alverstoke seinen jungen Vetter und Erben Endymion nicht nur als Kornett in die Life Guards eingekauft hatte, sondern ihm außerdem noch eine schöne Apanage zukommen ließ. Worauf Lord Jevington antwortete, er sei durchaus imstande, für seinen Sohn selbst zu sorgen, der ohnehin keinen wie immer gearteten Anspruch an seinen Onkel hatte. Er persönlich könne es Alverstoke nur hoch anrechnen, dass er so vernünftig war und sich davor zurückhielt, den Eltern des Ehrenwerten Gregory Sandridge finanzielle Hilfe anzubieten, was diese nur als Kränkung hätten empfinden können. Das stimmte durchaus, trotzdem war Lady Jevington der Meinung, wenn Alverstoke auch nur ein Körnchen Anstandsgefühl besäße, dann hätte er für seine Gunst nicht einen bloßen Vetter statt seines ältesten Neffen ausgewählt. Ihrer Meinung nach wäre in einer besser organisierten Gesellschaft sein Erbe ohnehin der Sohn der ältesten Schwester, nicht aber ein entfernt verwandter Vetter.
Lady Buxted freilich hätte Gregory nicht gern in so unfairer Weise erhoben gesehen, stimmte jedoch im allgemeinen ihrer Schwester zu, denn beide Damen waren sich einig in ihrer Verachtung des Mr. Endymion Dauntry den sie zu einem ausgemachten Klotz stempelten. Ob aber ihre Feindseligkeit diesem untadeligen jungen Mann gegenüber ihrer Abneigung gegen seine verwitwete Mama entsprang oder aber seinem schönen Gesicht und der prachtvollen Figur galt – beides stellte sowohl Gregory Sandridge wie auch den jungen Lord Buxted in den Schatten –, war eine Frage, die lieber niemand stellte.
Aus welchem Grund auch immer, jedenfalls waren Alverstokes beide älteren Schwestern überzeugt, man hätte keinen unwürdigeren Erben für die Würden des Marquis finden können als Endymion, und beide hatten keine Mühe gescheut, die Aufmerksamkeit ihres Bruders auf sämtliche hübschen und standesgemäßen jungen Damen zu lenken, die Jahr um Jahr auf die elegante Welt losgelassen wurden.
Alverstokes Gewohnheitssünde war es jedoch, sich äußerst schnell zu langweilen. Sie hatte selbst seine Schwestern besiegt, denn keine der beiden konnte annehmen, wenn sie die zahlreichen blendenden leichten Schönheiten, die unter seinem Schutz gelebt hatten, Revue passieren ließ, dass er weiblichen Reizen gegenüber unempfänglich war. Keine von beiden war jedoch auch so dumm, allzu optimistisch zu werden, wenn er ausnahmsweise einmal eine Neigung zu irgendeiner Perle an Geburt, Schönheit und Reichtum zu entwickeln schien, die ihm die eine oder andere seiner Schwestern unter die Nase schob. Er war durchaus imstande, die betreffende Dame einige Wochen lang zum Gegenstand seiner Galanterie zu machen, dann aber plötzlich abzuspringen und zu vergessen, dass es sie überhaupt gab. Als es seinen Schwestern dämmerte, dass vorsichtige Eltern ihn scheel ansahen und man ihn allgemein für gefährlich hielt, gaben sie ihre Versuche auf, ihm eine Frau zu verschaffen, und widmeten ihre Energien stattdessen der leichteren Aufgabe, seine Trägheit zu beklagen, seinen Egoismus zu verdammen und ihn wegen seiner moralischen Verirrungen, so weit sie ihnen zu Ohren kamen, zu schelten. Nur seine jüngste Schwester hielt sich davor zurück. Da sie aber verschiedene schmeichelhafte Heiratsanträge abgelehnt, nach eigenem Belieben einen bloßen Landedelmann geheiratet hatte und nur noch selten in die Metropole kam, wurde sie von ihren beiden älteren Schwestern für eine quantité négligeable gehalten. Wenn sie von ihr sprachen – was selten vorkam –, dann nur von der armen Eliza. Obwohl sie wussten, dass Alverstoke Eliza lieber hatte als sie, kam es ihnen nicht in den Sinn, sie um ihre Hilfe bei den Heiratsplänen für den Bruder zu ersuchen. Wäre es ihnen aber doch eingefallen, dann hätten sie den Gedanken in dem wohlbegründeten Glauben abgetan, dass noch kein Mensch ihn, seit er zum Mann geworden war, auch nur im Geringsten beeinflusst hatte.
Diesmal jedoch hatte Lady Buxted ihn nicht zu sich befohlen, um ihm eine Strafpredigt zu halten. Ja, sie hatte beschlossen, überhaupt nichts zu sagen, was ihn hätte verstimmen können. Aber während sie im Salon auf ihn wartete, folgte der Hoffnung, die – ungeachtet ihrer Erfahrung – in ihrer Brust aufgekeimt war, als sie von seiner Ankunft hörte, sofort die Überlegung, dass es ihm wieder einmal ähnlich sah, fünf Tage verstreichen zu lassen, bevor er sich die Mühe machte, einer Aufforderung zu folgen, die ja immerhin höchst dringlich hätte sein können. Nur mit Mühe zwang sie ihr Gesicht zum Ausdruck liebevoller Begrüßung. Noch schwerer fiel es ihr, Herzlichkeit in die Stimme einfließen zu lassen, als er unangemeldet ins Zimmer hereinschlenderte. Auch das sah ihm ähnlich, dieses nachlässige Benehmen, das Ihre Gnaden, pedantisch auf gute Formen bedacht, sehr bedauerte, denn sie sah nicht ein, wieso er sich in ihrem Haus benahm, als gehörte es ihm.
Sie unterdrückte ihren Ärger, streckte ihm die Hand entgegen und sagte: "Vernon! Mein Lieber, was für eine reizende Überraschung!"
"Was ist daran überraschend?", fragte er und zog die schwarzen Brauen hoch. "Hast du mich denn nicht gebeten zu kommen?"
Zwar blieb das Lächeln auf den Lippen Lady Buxteds festgefroren, aber sie antwortete ziemlich scharf: "Sicher, aber schon vor so vielen Tagen, dass ich angenommen habe, du seist nicht in London!"
"O doch!", sagte er und erwiderte ihr Lächeln mit äußerster Süße.
Lady Buxted ließ sich dadurch nicht täuschen, hielt es aber für klug, die absichtliche Provokation zu ignorieren, die sie sehr gut erkannte. Sie klopfte mit der flachen Hand neben sich auf das Sofa und lud ihren Bruder damit ein, sich neben sie zu setzen. Er jedoch ging zum Kamin, beugte sich vor, um sich die Hände zu wärmen, und sagte: "Ich kann mich nicht lange aufhalten, Louisa. Was willst du von mir?"
Da sie sich entschlossen hatte, auf ihre Bitte taktvoll, Schritt für Schritt loszusteuern, machte sie diese unumwundene Frage wütend und brachte sie aus dem Konzept. Sie zögerte. Mit einem Glitzern in seinen harten grauen Augen schaute er auf und sagte: "Also?!"
Sie war nicht gezwungen, ihm sofort zu antworten, denn eben kam ihr Butler mit Erfrischungen herein, die seiner Meinung nach jetzt passend waren. Während er das schwere Tablett auf einem Seitentisch abstellte und den Marquis im vertraulichen Ton des alten Hausfaktotums informierte, er habe sich erlaubt, sowohl den Mountain wie den Sherry hereinzubringen, hatte Lady Buxted Zeit, sich zu sammeln. Etwas grollend vermerkte sie, dass es ihrem Bruder beliebte, sie in Reithose und Stiefeln zu besuchen – einem Anzug, der bedauerlicherweise genauso formlos war wie sein Eintritt in den Salon. Dass seine Stiefel glänzend poliert, sein Halstuch äußerst sorgfältig gelegt und der Schnitt seiner wie angegossen sitzenden Jacke offenkundig von Meisterhand stammte, erhöhte nur ihren Verdruss. Wäre ihm wie alles Übrige auch seine Erscheinung gleichgültig gewesen, dann hätte sie ihm verzeihen können, dass er es nicht für nötig hielt, ihr zu Ehren den für Morgenbesuche vorgeschriebenen Anzug zu tragen. Aber ein Mensch, der immer so elegant aussah wie er und dessen Stil von so vielen modebewussten Herren kopiert wurde, konnte modische Vorschriften unmöglich übergehen. Ja, sie hatte ihn einmal in einem Anfall von Erbitterung gefragt, ob ihm überhaupt an irgendetwas außer seiner Kleidung läge. Worauf er sich die Frage lange überlegt und dann erwidert hatte, dass zwar seine Kleidung natürlich an erster Stelle stehe, aber auch an seinen Pferden läge ihm viel.
Er war zu dem Tischchen hinübergegangen, und als sich der Butler zurückgezogen hatte, wandte er sich um und fragte: "Sherry, Louisa?"
"Mein lieber Vernon, jetzt könntest du wirklich schon wissen, dass ich Sherry nie anrühre!"
"Wirklich? Aber ich habe ja ein so entsetzlich schlechtes Gedächtnis!"
"Nicht, wenn du dich an etwas erinnern willst!"
"Nein – dann nicht!", stimmte er ihr zu. Er sah zu ihr hinüber, und beim Anblick ihrer zusammengepressten Lippen und der Zornesröte lachte er plötzlich auf. "Was für ein Dummkopf du doch bist, teure Schwester! Ich habe noch nie einen Fisch geangelt, der bereitwilliger angebissen hätte als du! Was also darf es sein? Malaga?"
"Ich nehme ein halbes Glas Ratafia, wenn du ihn mir netterweise einschenken wolltest", antwortete sie steif.
"Das geht mir zwar sehr gegen den Strich, aber ich werde so nett sein. Was für ein scheußliches Getränk zu dieser Stunde! Das heißt, eigentlich immer", fügte er nachdenklich hinzu. Er reichte ihr das Glas, sein Gang war gemächlich, doch elastisch wie der des geborenen Sportlers. "Also, worum geht es diesmal? Schleich nicht um den heißen Brei herum! Ich will nicht, dass sich meine Pferde erkälten."
"So setz dich doch endlich", sagte sie zornig.
"Schön, aber um Himmels willen, fasse dich kurz!", antwortete er und wählte den Lehnstuhl an der anderen Seite des Kamins.
"Es hat sich zufällig ergeben, dass ich deine Hilfe benötige, Alverstoke", sagte sie.
"Das, liebe Louisa, habe ich befürchtet, als ich deinen Brief las", erwiderte er mit abscheulicher Liebenswürdigkeit. "Natürlich hätte es auch sein können, dass du mich herbeorderst, um mir eine deiner Standpauken zu verpassen. Aber du hast deine Botschaft derart liebevoll abgefasst, dass ich diesen Verdacht fast sofort verbannte und mir daher nur die andere Version blieb: Du willst, dass ich etwas für dich tue."
"Wenn ich recht verstehe, dann sollte ich froh sei, dass du dich an meine schriftliche Einladung zu einem Besuch überhaupt erinnerst!", sagte sie und starrte ihn zornig an.
"Du kannst dir nicht vorstellen, Louisa, wie sehr es mich reizt, deine Dankbarkeit mit einem geziemenden Grinsen entgegenzunehmen!", sagte er. "Aber man soll mir nicht nachsagen können, dass ich mich mit fremden Federn schmücke: Trevor hat mich hergejagt."
"Soll das heißen, dass Mr. Trevor meinen Brief gelesen hat?", fragte Lady Buxted empört. "Dein Sekretär?"
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