Mittwoch, 15. August 2012

Damenwahl (Cotillion) von Georgette Heyer

Damenwahl: Roman



Kitty, die Adoptivtochter der Millionärs, mangelt es keinen Falls an Verehrern. Doch sie will nur ihre große Liebe: Jack. Als sie eines Tages einen Gatten auswählen muss erscheint dieser nicht zum Termin. Nun muss sie sich entscheiden wen sie nehmen soll um ihr Vermögen zu retten. Da plötzlich begegnet sie Frederick Standen. Er hat zwar nicht die selben Talente wie Jack, jedoch beflügelt er Kittys Herz mit seiner charmanten Ausstrahlung. 
Hier das 1.Kapitel als Probe lesen:
 Der Salon war, wie jeder andere Raum in Arnside House, groß, hoch und vor etwa zwanzig Jahren in einem Stil eingerichtet worden, der damals als dernier cri gegolten hatte, seither jedoch etwas aus der Mode gekommen war. Zwar wies der Raum keinerlei Anzeichen von Armut auf, etwa einen zerschlissenen Teppich oder geflickte Vorhänge, der bunte Brokat aber war verschossen, die Malerei an den getäfelten Wänden zeigte Risse, und auch die vergoldeten Bilderrahmen waren schon lange blind geworden. Ein zufälliger Besucher hätte vermuten können, dass für Mr. Penicuik, dem das Haus gehörte, harte Zeiten angebrochen waren. Zwei der drei Herren, die sich an einem Winterabend Ende Februar um halb sieben im Salon versammelt hatten, liefen jedoch nicht Gefahr, diesem Irrtum zu verfallen. Sie wussten, dass Großonkel Matthew, der bei dem gewaltigen Unternehmen der Trockenlegung des Fen-Country ein Vermögen gemacht hatte und einer der reichsten Männer Englands war, nur an einer tief verwurzelten Abneigung litt, Geld für irgendetwas auszugeben, das nicht unmittelbar seiner eigenen Bequemlichkeit diente. Der dritte Herr verriet keinerlei Anzeichen, dass er überhaupt darüber nachdachte. Er richtete nicht wie sein Vetter, Lord Biddenden, sein Monokel missbilligend auf einen fleckigen Spiegel; er machte auch nicht wie sein jüngerer Vetter, Ehrwürden Hugh Rattray, eine bissige Bemerkung über das unzulängliche kleine Holzfeuer im Kamin. Das ganze Dinner hindurch, das zu unkonventioneller Stunde, um fünf Uhr, serviert und eher (wie Lord Biddenden seinem Bruder erklärte) mit Rücksicht auf die Verdauungsschwierigkeiten des Gastgebers als den Geschmack seiner Gäste zusammengestellt worden war, hatte er Schweigen bewahrt, das vielleicht nicht gebrochen worden wäre, hätte sein Vetter Hugh nicht einige freundliche, einfache Bemerkungen an ihn gerichtet, die leicht zu verstehen und fast ebenso leicht zu beantworten waren. Als er den Salon betreten hatte, war er auf einen Sessel neben dem Kamin zugesteuert, wo er nun saß, an einem Zipfel seines Taschentuchs kaute und ausdruckslos seinen älteren Vetter anstarrte.
    Lord Biddenden wusste, dass dieser Blick nichts als geistige Leere bedeutete, empfand ihn als unbehaglich und murmelte gereizt: "Ich wünschte, der dumme Kerl würde mich nicht so anstarren!"
    "Er tut dir ja nichts", sagte sein Bruder ernst, nahm jedoch ein Buch mit Kupferstichen von einem der Tische, reichte es Lord Dolphinton, wies ihn an, sich die Bilder anzusehen und versicherte ihm, er würde sie sehr hübsch und interessant finden. Lord Dolphinton, daran gewöhnt, dass ihm seine Mutter, viel weniger nett, sagte, was er tun müsse, nahm das Buch dankbar entgegen und begann darin zu blättern.
    Lord Biddenden fuhr im gleichen nörgelnden halblauten Flüstern fort: "Ich begreife nicht, was Onkel Matthew dazu gebracht hat, ihn einzuladen! Es ist absurd, anzunehmen, dass er ein Interesse an dieser Sache haben könnte!" Als Antwort erhielt er nur einen der ärgerlichen, missbilligenden Blicke seines Bruders, und mit einem Ausruf der Ungeduld ging er zum Tisch und begann, in ein, zwei Zeitschriften, die dort lagen, hin und her zu blättern. "Es ist äußerst aufreizend, dass Claud nicht hier ist!", sagte er vielleicht zum siebenten Mal an diesem Tag. "Ich wäre sehr froh gewesen, ihn gut versorgt zu sehen!" Da diese Bemerkung auf dasselbe, nicht gerade ermutigende Schweigen traf, sagte Seine Lordschaft ziemlich scharf: "Du magst ja vielleicht Clauds Ansprüche nicht in Betracht ziehen, aber Gott sei Dank gehöre ich nicht zu den Leuten, die ihre Brüder vergessen! Ich sage dir, woher das kommt, Hugh: du bist ein kaltherziger Bursche, und wenn du dich darauf verlässt, dass du auf dein Gesicht hin ein schönes Vermögen gewinnst, könntest du dich durchaus täuschen, und meine ganze Mühe wird für nichts und wieder nichts aufgewandt worden sein!"
    "Was für eine Mühe?", fragte der Rektor in einem Ton, der der Beschuldigung seines Bruders etwas Farbe verlieh.
    "Wenn ich dir nicht vorgehalten hätte, was du der Familie schuldig bist, wärst du heute Abend nicht hier!"
    Ehrwürden Hugh zuckte seine breiten Schultern und erwiderte einschränkend: "Die ganze Angelegenheit erscheint mir höchst ungehörig. Wenn ich der armen Kitty einen Heiratsantrag mache, geschieht das aus Mitleid und in dem Glauben, dass ihre Erziehung und ihr Charakter von der Art sind, die sie für einen Mann im geistlichen Stand zu einer passenden Ehefrau machen müssen."
    "Unsinn!", erwiderte Lord Biddenden. "Wenn Onkel Matthew das Mädchen zu seiner Erbin einsetzt, dürfte sie zwanzigtausend Pfund pro Jahr erben! Er kann nicht einmal ein Zehntel seines Vermögens ausgegeben haben, seit er dieses Haus erbaut hat, und wenn man bedenkt, wie es angewachsen sein muss … Mein lieber Hugh, ich bitte dich wirklich, etwas gewandter vorzugehen! Wenn ich Junggeselle wäre …! Nun ja, es nützt nichts zu jammern, und ich bin wahrhaftig nicht einer, der einem seiner Brüder ein Vermögen missgönnen würde."
    "Wir sind jetzt seit fast vierundzwanzig Stunden in Arnside", sagte Hugh, "und mein Großonkel hat uns noch immer nicht von seinen Absichten in Kenntnis gesetzt."
    "Wir wissen sehr gut über sie Bescheid", erwiderte Lord Biddenden gereizt. "Und wenn du nicht errätst, warum er noch nichts gesagt hat, dann bist du ein größerer Narr, als ich geglaubt hätte. Natürlich hat er gehofft, dass Jack nach Arnside kommt. Und auch Freddy", fügte er flüchtig hinzu. "Nicht, dass Freddy um einen Deut mehr wert ist als Dolphinton hier, aber vermutlich wünscht der Alte nicht, dass er ausgeschlossen wird. Nein, nein, es ist Jacks Abwesenheit, warum er den Mund hält! Und ich muss sagen, Hugh, dass ich das nie erwartet hätte und es für ein Glück halte. Verlass dich darauf, hätte sich die Gelegenheit geboten, dann hätte das Mädchen ihn erwählen müssen!"
    "Ich weiß nicht, warum du so etwas sagst", erwiderte der Rektor steif. "Ja, ich kann wirklich nicht verstehen, warum du so eifrig bestrebt bist, mich um eine Dame anhalten zu lassen, die du anscheinend so wenig schätzt! Wenn ich nicht der Ansicht wäre, dass sie eine wohlerzogene junge Frau ist, für die Leute wie mein Vetter Jack abstoßend sein müssen …"
    "Ja natürlich, das ist schon wieder so ein Unsinn von dir!", unterbrach ihn Seine Lordschaft. "Du magst ja ein hübscher Bursche sein, Hugh, aber so ein Prachtkerl wie Jack bist du noch lange nicht"!
    "Ich hege keinen Wunsch, ein Prachtkerl zu sein, wie du es ausdrückst", sagte Hugh noch steifer. "Und meiner Ansicht nach ist es nicht besonders wichtig, ob er abwesend oder anwesend ist."
    "Oh, verstell dich nicht so!", rief Biddenden aus und warf unwillig ein Exemplar des Gentleman's Magazine auf den Tisch. "Wenn du dir einbildest, mein lieber Bruder, dass dich Onkel, nur weil er deinen Lebensunterhalt bestritt, seinen übrigen Großneffen vorzieht, dann irrst du dich gewaltig! Ich staune, dass du einen derartigen Unsinn redest, wirklich! Jack war immer Onkels Liebling, das weißt du sehr gut! Verlass dich drauf, Onkel will, dass Kitty ihn erwählt, und das ist der Grund, warum er gar so verteufelt schlechter Laune ist! Meiner Seel, ich staune, dass er uns andere überhaupt eingeladen hat."
    Hier hob Lord Dolphinton, der seine Verwandten gelegentlich aus der Fassung brachte, weil er genau aufpasste, was sie sagten, die Augen von dem Buch auf seinen Knien und warf ein: "Onkel sagte, er hat dich nicht eingeladen, George. Er sagte, er weiß nicht, warum du gekommen bist. Er sagte …"
    "Unsinn! Das verstehst du nicht!", sagte Lord Biddenden.
    Lord Dolphintons Verstand war nicht besonders scharf und eignete sich auch nicht allzu bereitwillig die Gedanken anderer an; aber sowie er einmal einen Eindruck aufgenommen hatte, war er zäh. "Hat es aber so gesagt!", beharrte er. "Sagte es gestern Abend, als du ankamst. Sagte es heute Morgen wieder. Sagte es …"
    "Schon gut, Schluss jetzt!", warf sein Vetter verdrossen ein.
    Lord Dolphinton war jedoch nicht so leicht zum Schweigen zu bringen. "Sagte es, als wir uns zum Mittagessen setzten", fuhr er fort und zählte die verschiedenen Gelegenheiten an seinen knochigen Fingern ab. "Sagte es beim Abendessen. Sagte, wenn dir nichts an Lammfleisch liegt, dann hättest du nicht zu kommen brauchen, weil er dich nicht eingeladen hat. Ich bin nicht so klug wie ihr Burschen, aber wenn mir die Leute ein- oder zweimal etwas sagen, kann ich mich daran erinnern." Er bemerkte, dass diese schlichte Erklärung seiner Geisteskräfte seinen Vettern die Sprache verschlagen hatte und zog sich zufrieden wieder zu seinem Buch zurück.
    Lord Biddenden tauschte einen bedeutungsvollen Blick mit seinem Bruder; Hugh bemerkte jedoch nur, dass er schon recht habe, und das in einem derart verächtlichen Ton, dass es Biddenden zu dem Ausspruch anstachelte: "Nun, auf alle Fälle ist mein Besuch ebenso zweckdienlich wie der Dolphintons. Verdammt noch mal!"
    "Ich bin ein Earl", sagte Lord Dolphinton plötzlich, sich wieder ins Gespräch einschaltend. "Du bist kein Earl. Hugh ist kein Earl. Freddy ist kein …"
    "Nein, du bist der einzige Earl unter uns", warf Hugh beruhigend ein.
    "George ist nur ein Baron", sagte Dolphinton.
    Lord Biddenden warf ihm einen Blick voller Abscheu zu und äußerte eine Bemerkung über den verarmten irischen Hochadel. Er hatte weniger Geduld mit Dolphinton als seine übrigen Vettern, und außerdem hatte dessen Bemerkung seine Empfindlichkeit etwas verletzt. Sein Stolz war größer als sein Geist, er hielt sich gern für das Oberhaupt einer hochstehenden Familie und hatte den Ehrgeiz, seine Verhältnisse zu verbessern. Wie wenig er auch von irischen Adelsprädikaten halten mochte, konnte er doch Dolphinton nie sehen, ohne dass es ihm einen schmerzlichen Stoß gab. Seinem Gefühl nach hätte eine gerechtere Vorsehung ihre Stellungen umkehren müssen. Nicht dass er mit Dolphinton mehr als dessen Titel hätte tauschen wollen; sicherlich nicht seine eigene angenehme Erbschaft gegen Dolphintons Grundbesitz in Irland, der, wie er mit gutem Grund vermutete, bis übers Dach mit Hypotheken belastet war. Dolphinton war außerdem das einzige Kind, und das hätte seinem Vetter nicht gefallen. Lord Biddenden hatte patriarchalische Instinkte. Er sah seine Geschwister gern unter seinem Dach versammelt und liebte das Gefühl, dass sie zwecks Lenkung von ihm abhingen; und er war nach ihrem Fortkommen in der Welt fast genauso bestrebt, wie nach seinem eigenen. Es war eine Quelle beträchtlichen Kummers für ihn, dass es ihm die Umstände unmöglich gemacht hatten, Hugh seinen ersten Lebensunterhalt zu sichern. Er, und nicht Matthew Penicuik, hätte Hughs Wohltäter sein sollen, und er vermochte es dem kränkelnden Onkel, der Hughs Pfarrei unterhielt, nie ganz zu verzeihen, dass er wider Erwarten noch immer am Leben war. Dass Hugh nur einen Fußmarsch vom Herrenhaus der Biddenden entfernt lebte, war weder seinem Glück noch seiner Selbstachtung dienlich, doch ließ er sich davon nicht beeinflussen, denn er war ein Mann mit einem starken Sinn für Schicklichkeit und war sich seiner Pflicht bewusst, für alle seine Geschwister Zuneigung zu empfinden. Die traurige Wahrheit jedoch war, dass er nie lange mit Hugh zusammen sein konnte, ohne auf ihn böse zu werden. Da er ein gerechter Mann war, schrieb er Hugh keine Schuld daran zu, dass dieser um einen Kopf größer und viel schlanker war als er; wohl aber glaubte er, dass es Hughs eigene Schuld sei, anzunehmen, dass ihm sein geistliches Gewand das Recht verlieh, seinen älteren Geschwistern gegenüber kritisch zu sein. Voller Bedauern dachte Lord Biddenden an seinen zweiten Bruder Claud und wünschte, dass dieser nicht gerade in diesem Augenblick mit seinem Regiment in der Besatzungsarmee in Frankreich diente. Er hätte sich gefreut, Claud zu einem Vermögen zu verhelfen, denn er hatte ihn gern und sah außerdem voraus, dass er selbst in nicht allzu ferner Zeit verpflichtet sein würde, Claud seine Beförderung kaufen zu helfen, falls er sie nicht sogar ganz würde bezahlen müssen. Captain Rattray war zwar dem Oberhaupt des Hauses gegenüber ehrerbietig, aber er verschlang auch ungeheure Mengen Geld.

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