Während der Londoner Saison möchte Frederica endlich einen Ehegatte für ihre hübsche Schwester Charis finden. Marquis von Alverstoke gilt als der begehrteste Mann der High-Society auf dem Heiratsmarkt. Frederica erinnert ihn daran, dass er ihrem Vater einst ein Versprechen gab. Und als dieser einen Ball für Charlis gibt, glaubt Frederica, dass ihr Plan aufgeht. Doch plötzlich scheint es als ob Marquis mit seinem Charme eine ganz andere Frau zu erobern gedenkt.
Leseprobe des 1.Kapitels des Buches:
Vor fünf Tagen hatte die verwitwete Lady Buxted ihren Bruder, den Höchst
Ehrenwerten Marquis von Alverstoke, in einem Sendschreiben dringend
ersucht, sie so bald wie nur irgend möglich zu besuchen. Nun konnte sie
erleichtert aufatmen, denn ihre jüngste Tochter kündete soeben die
Ankunft von Onkel Vernon an: "Er trägt einen Mantel mit Dutzenden von
Schultercapes, und er sieht überhaupt todschick aus. Außerdem fährt er
ein smartes neues Karriol, Mama, und einfach alles an ihm ist prima!",
erklärte Miss Kitty, die Nase platt an die Fensterscheibe gedrückt. "Er
ist doch der enormste Stutzer, was, Mama?"
Lady Buxted antwortete
tadelnd, solche Ausdrücke schickten sich nicht für eine junge Dame von
Stand, und beorderte ihre Tochter ins Schulzimmer.
Lady Buxted
gehörte nicht zu den Verehrerinnen ihres Bruders, und die Nachricht,
dass er seine zweirädrige Kutsche persönlich zum Grosvenor Place gelenkt
hatte, trug nicht gerade dazu bei, ihn in ihrer Gunst steigen zu
lassen. Es war ein schöner Frühlingsmorgen, aber es wehte ein scharfer
Wind, und kein Mensch, der den Marquis kannte, hätte angenommen, dass er
seine Vollblüter länger als einige Minuten warten lassen würde. Das
verhieß nichts Gutes für den Plan, den die Lady im Sinn hatte. Denn
Alverstoke war zweifellos das egoistischste und ungefälligste Geschöpf
unter Gottes Sonne.
Ihre Schwester, Lady Jevington, eine
gebieterische Matrone jenseits der Vierzig, teilte diese Einschätzung
nur unter Vorbehalt. Auch sie hielt ihren einzigen Bruder für egoistisch
und ungefällig, aber sie sah beim besten Willen keinen Grund, warum er
für Louisa mehr tun sollte als für sie selbst. Was Louisas zwei Söhne
und drei Töchter betraf, so konnte Lady Jevington ihrem Bruder keinen
Vorwurf daraus machen, dass er sich für keinen der Sprösslinge
interessierte. Es war wirklich unmöglich, sich für derart gewöhnliche
Kinder zu interessieren. Dass er sich jedoch genauso wenig für ihre
eigenen Nachkommen interessierte, deutete in der Tat auf eine
egoistische Veranlagung hin. Jeder Mensch hätte angenommen, dass ein
Junggeselle, der nicht nur ersten Standes, sondern außerdem beträchtlich
reich war, nur zu froh gewesen wäre, einen so vielversprechenden
Neffen, wie es ihr geliebter Gregory war, in den erlesenen Kreis
aufzunehmen, dem Alverstoke selbst zur Zierde gereichte, und er hätte
sich bemüht, die liebe Anna in die vornehme Welt einzuführen. Dass Anna
ohne die geringste Hilfe seinerseits dennoch standesgemäß verlobt worden
war, milderte ihre Entrüstung keineswegs. Zwar musste sie zugeben, ihr
altmodischer Ehemann erinnere sie zurecht daran, dass sie die
leichtfertige Clique missbilligte, zu der Alverstoke gehörte, und sie
hatte auch häufig der Hoffnung Ausdruck verliehen, Gregory würde dort
niemals hineingeraten. Dennoch konnte sie es Alverstoke noch immer nicht
verzeihen, dass er es nicht einmal versucht hatte, Gregory dort
einzuführen. Sie sagte, es hätte sie keinen Deut gekümmert, wenn sie
nicht mit gutem Grund annehmen müsste, dass Alverstoke seinen jungen
Vetter und Erben Endymion nicht nur als Kornett in die Life Guards
eingekauft hatte, sondern ihm außerdem noch eine schöne Apanage zukommen
ließ. Worauf Lord Jevington antwortete, er sei durchaus imstande, für
seinen Sohn selbst zu sorgen, der ohnehin keinen wie immer gearteten
Anspruch an seinen Onkel hatte. Er persönlich könne es Alverstoke nur
hoch anrechnen, dass er so vernünftig war und sich davor zurückhielt,
den Eltern des Ehrenwerten Gregory Sandridge finanzielle Hilfe
anzubieten, was diese nur als Kränkung hätten empfinden können. Das
stimmte durchaus, trotzdem war Lady Jevington der Meinung, wenn
Alverstoke auch nur ein Körnchen Anstandsgefühl besäße, dann hätte er
für seine Gunst nicht einen bloßen Vetter statt seines ältesten Neffen
ausgewählt. Ihrer Meinung nach wäre in einer besser organisierten
Gesellschaft sein Erbe ohnehin der Sohn der ältesten Schwester, nicht
aber ein entfernt verwandter Vetter.
Lady Buxted freilich hätte
Gregory nicht gern in so unfairer Weise erhoben gesehen, stimmte jedoch
im allgemeinen ihrer Schwester zu, denn beide Damen waren sich einig in
ihrer Verachtung des Mr. Endymion Dauntry den sie zu einem ausgemachten
Klotz stempelten. Ob aber ihre Feindseligkeit diesem untadeligen jungen
Mann gegenüber ihrer Abneigung gegen seine verwitwete Mama entsprang
oder aber seinem schönen Gesicht und der prachtvollen Figur galt –
beides stellte sowohl Gregory Sandridge wie auch den jungen Lord Buxted
in den Schatten –, war eine Frage, die lieber niemand stellte.
Aus
welchem Grund auch immer, jedenfalls waren Alverstokes beide älteren
Schwestern überzeugt, man hätte keinen unwürdigeren Erben für die Würden
des Marquis finden können als Endymion, und beide hatten keine Mühe
gescheut, die Aufmerksamkeit ihres Bruders auf sämtliche hübschen und
standesgemäßen jungen Damen zu lenken, die Jahr um Jahr auf die elegante
Welt losgelassen wurden.
Alverstokes Gewohnheitssünde war es
jedoch, sich äußerst schnell zu langweilen. Sie hatte selbst seine
Schwestern besiegt, denn keine der beiden konnte annehmen, wenn sie die
zahlreichen blendenden leichten Schönheiten, die unter seinem Schutz
gelebt hatten, Revue passieren ließ, dass er weiblichen Reizen gegenüber
unempfänglich war. Keine von beiden war jedoch auch so dumm, allzu
optimistisch zu werden, wenn er ausnahmsweise einmal eine Neigung zu
irgendeiner Perle an Geburt, Schönheit und Reichtum zu entwickeln
schien, die ihm die eine oder andere seiner Schwestern unter die Nase
schob. Er war durchaus imstande, die betreffende Dame einige Wochen lang
zum Gegenstand seiner Galanterie zu machen, dann aber plötzlich
abzuspringen und zu vergessen, dass es sie überhaupt gab. Als es seinen
Schwestern dämmerte, dass vorsichtige Eltern ihn scheel ansahen und man
ihn allgemein für gefährlich hielt, gaben sie ihre Versuche auf, ihm
eine Frau zu verschaffen, und widmeten ihre Energien stattdessen der
leichteren Aufgabe, seine Trägheit zu beklagen, seinen Egoismus zu
verdammen und ihn wegen seiner moralischen Verirrungen, so weit sie
ihnen zu Ohren kamen, zu schelten. Nur seine jüngste Schwester hielt
sich davor zurück. Da sie aber verschiedene schmeichelhafte
Heiratsanträge abgelehnt, nach eigenem Belieben einen bloßen
Landedelmann geheiratet hatte und nur noch selten in die Metropole kam,
wurde sie von ihren beiden älteren Schwestern für eine quantité
négligeable gehalten. Wenn sie von ihr sprachen – was selten vorkam –,
dann nur von der armen Eliza. Obwohl sie wussten, dass Alverstoke Eliza
lieber hatte als sie, kam es ihnen nicht in den Sinn, sie um ihre Hilfe
bei den Heiratsplänen für den Bruder zu ersuchen. Wäre es ihnen aber
doch eingefallen, dann hätten sie den Gedanken in dem wohlbegründeten
Glauben abgetan, dass noch kein Mensch ihn, seit er zum Mann geworden
war, auch nur im Geringsten beeinflusst hatte.
Diesmal jedoch hatte
Lady Buxted ihn nicht zu sich befohlen, um ihm eine Strafpredigt zu
halten. Ja, sie hatte beschlossen, überhaupt nichts zu sagen, was ihn
hätte verstimmen können. Aber während sie im Salon auf ihn wartete,
folgte der Hoffnung, die – ungeachtet ihrer Erfahrung – in ihrer Brust
aufgekeimt war, als sie von seiner Ankunft hörte, sofort die Überlegung,
dass es ihm wieder einmal ähnlich sah, fünf Tage verstreichen zu
lassen, bevor er sich die Mühe machte, einer Aufforderung zu folgen, die
ja immerhin höchst dringlich hätte sein können. Nur mit Mühe zwang sie
ihr Gesicht zum Ausdruck liebevoller Begrüßung. Noch schwerer fiel es
ihr, Herzlichkeit in die Stimme einfließen zu lassen, als er
unangemeldet ins Zimmer hereinschlenderte. Auch das sah ihm ähnlich,
dieses nachlässige Benehmen, das Ihre Gnaden, pedantisch auf gute Formen
bedacht, sehr bedauerte, denn sie sah nicht ein, wieso er sich in ihrem
Haus benahm, als gehörte es ihm.
Sie unterdrückte ihren Ärger,
streckte ihm die Hand entgegen und sagte: "Vernon! Mein Lieber, was für
eine reizende Überraschung!"
"Was ist daran überraschend?", fragte er und zog die schwarzen Brauen hoch. "Hast du mich denn nicht gebeten zu kommen?"
Zwar blieb das Lächeln auf den Lippen Lady Buxteds festgefroren, aber
sie antwortete ziemlich scharf: "Sicher, aber schon vor so vielen Tagen,
dass ich angenommen habe, du seist nicht in London!"
"O doch!", sagte er und erwiderte ihr Lächeln mit äußerster Süße.
Lady Buxted ließ sich dadurch nicht täuschen, hielt es aber für klug,
die absichtliche Provokation zu ignorieren, die sie sehr gut erkannte.
Sie klopfte mit der flachen Hand neben sich auf das Sofa und lud ihren
Bruder damit ein, sich neben sie zu setzen. Er jedoch ging zum Kamin,
beugte sich vor, um sich die Hände zu wärmen, und sagte: "Ich kann mich
nicht lange aufhalten, Louisa. Was willst du von mir?"
Da sie sich
entschlossen hatte, auf ihre Bitte taktvoll, Schritt für Schritt
loszusteuern, machte sie diese unumwundene Frage wütend und brachte sie
aus dem Konzept. Sie zögerte. Mit einem Glitzern in seinen harten grauen
Augen schaute er auf und sagte: "Also?!"
Sie war nicht gezwungen,
ihm sofort zu antworten, denn eben kam ihr Butler mit Erfrischungen
herein, die seiner Meinung nach jetzt passend waren. Während er das
schwere Tablett auf einem Seitentisch abstellte und den Marquis im
vertraulichen Ton des alten Hausfaktotums informierte, er habe sich
erlaubt, sowohl den Mountain wie den Sherry hereinzubringen, hatte Lady
Buxted Zeit, sich zu sammeln. Etwas grollend vermerkte sie, dass es
ihrem Bruder beliebte, sie in Reithose und Stiefeln zu besuchen – einem
Anzug, der bedauerlicherweise genauso formlos war wie sein Eintritt in
den Salon. Dass seine Stiefel glänzend poliert, sein Halstuch äußerst
sorgfältig gelegt und der Schnitt seiner wie angegossen sitzenden Jacke
offenkundig von Meisterhand stammte, erhöhte nur ihren Verdruss. Wäre
ihm wie alles Übrige auch seine Erscheinung gleichgültig gewesen, dann
hätte sie ihm verzeihen können, dass er es nicht für nötig hielt, ihr zu
Ehren den für Morgenbesuche vorgeschriebenen Anzug zu tragen. Aber ein
Mensch, der immer so elegant aussah wie er und dessen Stil von so vielen
modebewussten Herren kopiert wurde, konnte modische Vorschriften
unmöglich übergehen. Ja, sie hatte ihn einmal in einem Anfall von
Erbitterung gefragt, ob ihm überhaupt an irgendetwas außer seiner
Kleidung läge. Worauf er sich die Frage lange überlegt und dann erwidert
hatte, dass zwar seine Kleidung natürlich an erster Stelle stehe, aber
auch an seinen Pferden läge ihm viel.
Er war zu dem Tischchen
hinübergegangen, und als sich der Butler zurückgezogen hatte, wandte er
sich um und fragte: "Sherry, Louisa?"
"Mein lieber Vernon, jetzt könntest du wirklich schon wissen, dass ich Sherry nie anrühre!"
"Wirklich? Aber ich habe ja ein so entsetzlich schlechtes Gedächtnis!"
"Nicht, wenn du dich an etwas erinnern willst!"
"Nein – dann nicht!", stimmte er ihr zu. Er sah zu ihr hinüber, und
beim Anblick ihrer zusammengepressten Lippen und der Zornesröte lachte
er plötzlich auf. "Was für ein Dummkopf du doch bist, teure Schwester!
Ich habe noch nie einen Fisch geangelt, der bereitwilliger angebissen
hätte als du! Was also darf es sein? Malaga?"
"Ich nehme ein halbes Glas Ratafia, wenn du ihn mir netterweise einschenken wolltest", antwortete sie steif.
"Das geht mir zwar sehr gegen den Strich, aber ich werde so nett sein.
Was für ein scheußliches Getränk zu dieser Stunde! Das heißt, eigentlich
immer", fügte er nachdenklich hinzu. Er reichte ihr das Glas, sein Gang
war gemächlich, doch elastisch wie der des geborenen Sportlers. "Also,
worum geht es diesmal? Schleich nicht um den heißen Brei herum! Ich will
nicht, dass sich meine Pferde erkälten."
"So setz dich doch endlich", sagte sie zornig.
"Schön, aber um Himmels willen, fasse dich kurz!", antwortete er und wählte den Lehnstuhl an der anderen Seite des Kamins.
"Es hat sich zufällig ergeben, dass ich deine Hilfe benötige, Alverstoke", sagte sie.
"Das, liebe Louisa, habe ich befürchtet, als ich deinen Brief las",
erwiderte er mit abscheulicher Liebenswürdigkeit. "Natürlich hätte es
auch sein können, dass du mich herbeorderst, um mir eine deiner
Standpauken zu verpassen. Aber du hast deine Botschaft derart liebevoll
abgefasst, dass ich diesen Verdacht fast sofort verbannte und mir daher
nur die andere Version blieb: Du willst, dass ich etwas für dich tue."
"Wenn ich recht verstehe, dann sollte ich froh sei, dass du dich an
meine schriftliche Einladung zu einem Besuch überhaupt erinnerst!",
sagte sie und starrte ihn zornig an.
"Du kannst dir nicht
vorstellen, Louisa, wie sehr es mich reizt, deine Dankbarkeit mit einem
geziemenden Grinsen entgegenzunehmen!", sagte er. "Aber man soll mir
nicht nachsagen können, dass ich mich mit fremden Federn schmücke:
Trevor hat mich hergejagt."
"Soll das heißen, dass Mr. Trevor meinen Brief gelesen hat?", fragte Lady Buxted empört. "Dein Sekretär?"